Freiheit ist ein hohes Gut. Ein Grund- und Menschenrecht jeder modernen Demokratie. Freiheit hat nur eine Grenze – sie verläuft dort, wo die Freiheit des Einen die Freiheit Anderer bedroht.

Freie Arztwahl ist ein Grundrecht

Das Recht auf freie Arztwahl ist elementarer Bestandteil dieser Freiheit des Einzelnen in einer modernen Demokratie. Wer krank ist, soll die Art seiner Therapie und den Weg seiner Genesung gemäß seiner individuellen Überzeugungen und Wertevorstellungen frei wählen können. Niemand soll ihm dabei Vorschriften machen oder ihn Einschränkungen unterwerfen. Auf der Seite der Medizin wiederum ist die Berücksichtigung des persönlichen Wertegerüstes ausdrücklich als ein wesentlicher Bestandteil der evidenzbasierten Medizin anerkannt.

Was bedeutet es angesichts dessen, wenn Ärztekammern die Zusatzbezeichnung „Homöopathie“ aus der Weiterbildungsordnung für Ärzte streichen?

Es bedeutet – zumindest auf längere Sicht – für Patienten eine Aushöhlung der Möglichkeit, ihr Recht auf freie Arztwahl wahrzunehmen, weil zu erwarten ist, dass es zukünftig weniger Ärzte mit homöopathischer Zusatzqualifikation geben wird. Wohlgemerkt: Dieser Eingriff der LÄKn erfolgt, ohne dass durch die Ausübung des Rechts auf Freiheit jener, die nun beschnitten werden (also der Patienten), die Freiheit anderer bedroht oder bereits eingeschränkt gewesen wäre. „Stop!“ Rufen jetzt die Gegner der Homöopathie: „Was ist mit den Millionen, die für homöopathische Behandlungen von den Krankenkassen ausgegeben werden? Allesamt Ausgaben für Behandlungen ohne jeden wissenschaftlichen Wirknachweis!“ Doch der Versuch, der Homöopathie vorzuwerfen, sie missbrauche Krankenkassengelder, verfängt aus einem sehr entscheidenden Grund nicht: Die Gegner der Homöopathie bestreiten zwar den wissenschaftlichen Nachweis der Wirkung homöopathischer Behandlungen. Nicht in Frage stellen sie indes deren Wirksamkeit – also die Tatsache, dass Patienten im Rahmen homöopathischer Therapien geholfen wird und folglich als Genesene zur Volkswirtschaft wieder beitragen können, anstatt von ihr zu zehren.

So gesehen wiesen bei der Argumentation der Homöopathie-Gegner mehr Finger auf sie selbst zurück:  Angenommen ein Patient verweigert die Behandlung durch einen rein konventionell behandelnden Arzt, weil dies seinen Überzeugungen und seinem Wertekodex widerspricht. Eine Entscheidung, die unvernünftig sein mag, mit der der Patient aber nichts anderes einlösen will als sein Recht auf freie Arztwahl. Das kann er aber nicht, weil die Folgen der LÄK-Entscheidung eingetreten sind und es in Reichweite keine homöopathische Versorgung mehr gibt.

Die LÄKn, deren Votum bislang gegen die Zusatzbezeichnung Homöopathie ausfiel haben sich die Freiheit genommen, die Freiheit des Patienten zu beschneiden. Was berechtigt sie dazu?

Aufgabe der LÄKn ist es die medizinische Versorgung der Patienten auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse sicherzustellen. Selbst wenn man der Unterstellung folgte, dass die medizinische Wirkweise homöopathischer Behandlungsmethoden wissenschaftlich (noch) nicht hinreichend nachgewiesen sei, ist doch die Wirksamkeit empirisch und mittels anderer als medizinischer wissenschaftlicher Untersuchungen unzweifelhaft nachgewiesen. Zu schweigen von der unbestreitbaren und unbestrittenen Tatsache, dass es eine ganze Reihe konventioneller Behandlungen gibt, die von den Kassen erstattet werden, ohne dass evidenzbasierte Wirknachweise vorlägen. Die LÄKn nehmen sich also die Freiheit, Bewertungsmaßstäbe so absolut zu setzen, dass sie die Freiheit gleich mehrerer betroffener Gruppen einschränken: die von Medizinern, die ihren Patienten eine von den Kassen bezahlte homöopathische Behandlung anbieten wollen; und die von Patienten, die sich gern homöopathisch beraten und eventuell auch behandeln lassen möchten. Mehr noch: Die LÄKn nehmen sich darüber hinaus die Freiheit, mit zweierlei Maß zu messen, wenn es um die Erstellung der Maßstäbe geht, gemäß derer die Gelder, die sie verwalten, verteilt werden sollen. – Ob das noch im Rahmen dessen liegt, was die vom Gesetzgeber vorgesehene Aufgabe der LÄKn ist, wäre zu prüfen.

Folge: Soziale Spaltung

Die Folge ist eine soziale Spaltung: Patienten, die sich Homöopathie „leisten“ können, werden sich auch zukünftig so behandeln lassen können. Gesetzlich Krankenversicherte mit geringeren finanziellen Möglichkeiten indes wird durch die Streichung der Homöopathie als Kassenleistung eine homöopathische Therapie de facto vorenthalten.

Freiheit erhalten!

Mit einer Kombination aus dogmatischer Überheblichkeit und dem Fanatismus von Kreuzrittern stellen die Vertreter der aktuellen Anti-Homöopathie – Kampagne gleich mehrere Freiheitsaspekte in Frage. Und, ohne sich dessen bewusst zu sein, den elementaren Zweck jedes ärztlichen Tuns: Dem kranken Menschen zu dienen. Die Kampagne der Homöopathie-Gegner und die Entscheidung einzelner LÄKn, die Zusatzausbildung ‚Homöopathie‘ zu streichen, ist mitnichten „nur“ eine gesundheitspolitische Entscheidung. Beides manifestiert die Beschneidung elementarer, freiheitlicher Grund- und Menschenrechts der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes. Vertrauen in Wissenschaft lässt sich nicht durch Verleumdung oder Verbote erreichen. Vertrauen in einen modernen Medizinbetrieb kann nur dort entstehen, wo dieser Medizinbetrieb ernst nimmt, was für den ehemaligen, langjährigen Präsidenten der Bundesärztekammer, Prof. Dr. med. Hoppe, Binsenweisheit und Leitphilosophie zugleich war:

 „Medizin ist keine Naturwissenschaft sondern eine Erfahrungswissenschaft. Sie sich bedient sich stets auch wissenschaftlicher Erkenntnisse aus anderen Fachgebieten.“ 

Ein solches Verständnis eröffnet nicht nur die Freiheit, konventionelle medizinische Lehre mit anderen Lehren und Erfahrungen zu verbinden und gemeinsam zu nutzen. Sie fordert geradezu dazu auf. Sie macht die Nutzung dieser Freiheit zur conditio sine qua non. Und erkennt, unausgesprochen, aber unverkennbar zwischen den Zeilen, alles Andere als nicht im Sinne einer verantwortungsvollen und seriösen Medizin.

Nicht zuletzt gibt es zu denken, dass die Entscheidungen der LÄKn, getroffen nach völlig überhastet und teilweise intransparent geführten Debatten, ausgerechnet jetzt gefallen sind. In einer Zeit, in der gesellschaftspolitisch der Ruf nach mehr Freiheit, mehr Unabhängigkeit, mehr Recht auf Selbstbestimmung so laut ist, wie seit den Jahren den Jahren der 68er-Generation nicht mehr. Und gerade unter den Bedingungen eines Corona-bedingten lock-down ist dieser Wunsch und Ruf nach Freiheit lauter und nachvollziehbarer denn je.

Fest steht: Bei der Kampagne gegen die Homöopathie geht es mitnichten ’nur‘ um Aspekte der Medizin. Es geht um Freiheit, Gesellschaft, Politik – und um Macht.

Dr. med. Ulf Riker, 1. Vorsitzender LV Bayern