Interview mit Frau Dr. med. Eiman Tahir, Fachärztin für Gynäkologie. Frau Dr. Tahir stammt aus dem Sudan und ist in eigener Praxis in München niedergelassen.

Bitte schildern Sie uns kurz die wesentlichen Stationen Ihres beruflichen Werdeganges

Ich hatte eine Zusage bekommen für ein Studium im Ausland und bin nach Deutschland gekommen. Ohne Deutschkenntnisse habe ich am Goethe-Institut in Berlin zunächst die Sprache gelernt und im Wintersemester 1989/90 dann an der FU Berlin mein Medizinstudium begonnen. Mein AIP-Zeit habe ich zunächst im Allgäu begonnen und später dann über zwei Jahre im Sudan wiederholt. Man darf sich die praktische ärztliche Ausbildung in Afrika nicht so vorstellen wie hier in Deutschland: selbst in der Universitätsklinik in der Hauptstadt Khartoum gab es oft nicht einmal ein Blutdruckmessgerät oder ein Ultraschallgerät. Ich war also auf meine Augen, Ohren und Hände angewiesen. Ich bin sehr dankbar dafür, dass ich gelernt habe, mich auf mich selbst, eine gute Anamnese, einen sorgfältig erhobenen Befund und mein klinisches Wissen zu verlassen. Die Jahre in Deutschland haben mich aber doch verändert und ich wollte hierher zurück. Meine Facharztprüfung in Gynäkologie habe ich 2007 abgelegt und seit 2011 bin ich in München in eigener Praxis niedergelassen.

Wann sind Sie zum ersten Mal mit Homöopathie in Berührung gekommen?

In Berlin bin ich bereits im 1. Semester auf die Homöopathie gestoßen und hatte seither immer eine kleine homöopathische Taschenapotheke zur Verfügung. In meiner Facharztausbildung hatte ich aber noch zu wenig Erfahrung, obwohl ich mir oft vorgestellt habe, dass in Schocksituationen oder bei Blutungen in Schwangerschaft oder während der Entbindung homöopathische Arzneien hilfreich gewesen wären. Ich hatte eine sehr strenge und dogmatische Heilpraktikerin als Homöopathie-Lehrerin, die an der Schulmedizin kein gutes Haar gelassen hat. Es war für mich also immer ein sehr anstrengender Spagat, zwischen Homöopathie und konventioneller Medizin zu stehen. Heute bin ich überzeugt: es geht nur Hand in Hand!

Auf Ihrer Webseite erfährt man zweierlei: Sie begleiten in Ihrer Praxis Migrantinnen und vermutlich auch Frauen aus Ihrer afrikanischen Heimat, wo ja Genitalverstümmelungen an der Tagesordnung sind. Und wenn man die Fotos auf Ihrer Webseite anschaut, dann sieht man immer eine heitere, oft sogar lachende Frau Tahir. Was sind Sie für ein Mensch und was leitet Sie als Frauenärztin?

Ich bin ein fröhlicher Mensch, aber im Praxisalltag liegen Freude und Trauer oft nahe beieinander. Manchmal kann ich mich mit meinen Patientinnen über eine gelungene Entbindung und ein gesundes Kind freuen, ein andermal nehme ich die Trauer über einen schlimmen Befund auch sehr stark wahr. Ich möchte für meine Patientinnen da sein, ihnen helfen können, ihnen Stütze und Begleitung sein. Mein eigener Migrationshintergrund hat dazu geführt, dass sich das Spektrum meiner Patientinnen im Vergleich zu meinem Praxis-Vorgänger rasch und deutlich verändert hat: weil Arabisch meine Muttersprache ist kommen zu mir viele Frauen aus dem nordafrikanischen und arabischen Raum, aber auch aus vielen anderen Ländern und Weltregionen. Und wenn Arabisch, Englisch und Deutsch nicht ausreichen, dann kann ich auch mit Händen und Füßen kommunizieren oder den Frauen einfach nur in die Augen schauen.

Welche Bedeutung hat Homöopathie heute in Ihrer fachärztlichen Praxis?

Eine Praxis ohne Homöopathie kann ich mir überhaupt nicht vorstellen. Manchmal frage ich mich, was aus mir geworden wäre, wenn ich mit dieser Art der Medizin nicht in Berührung gekommen wäre. Deutschland war nicht mein Traumland, in dem ich studieren wollte. Aber woanders wäre ich mit der Homöopathie vielleicht gar nicht in Berührung gekommen. Es war also vielleicht gar nicht Zufall, dass ich nach Deutschland kam, vielleicht war es einfach Fügung? Ganz praktisch ist es so, dass ich bisher zu wenig Zeit hatte für ausführliche Anamnesen, aber das will ich ändern: ich will einen halben Tag gynäkologisch arbeiten und die andere Hälfte des Tages für die Homöopathie zur Verfügung haben.

Wie bauen Sie Homöopathie konkret in Ihre Therapieentscheidungen ein?

Ich arbeite bisher vor Allem indikationsbezogen: also z.B. in der Schwangerenbegleitung, im Geburtsverlauf, bei Neugeborenen oder in Zusammenhang mit Operationen. Da gibt es viele homöopathische Arzneien, die sich in bestimmten Situationen immer wieder bewähren. Dasselbe gilt auch für die Begleitung von Frauen, die durch Flucht, Genitalverstümmelung oder andere Schicksalsschläge traumatisiert sind. Ohne Homöopathie stünde ich in solchen Fällen mit leeren Händen da.

Gibt es spezielle Krankheitsbilder, bei denen sich die Homöopathie für Sie als ganz besonders nützlich erweist?

Gerade in der Schwangerenbetreuung gibt es Situationen, in denen man nicht so gerne auf konventionelle Medikamente zurückgreift und wo sich Homöopathie sehr bewährt: z.B. bei Schwangerschaftsübelkeit und Erbrechen, bei Wehenschwäche und anderen Wehenproblemen, bei Blutungen in der Schwangerschaft oder bei der Entbindung, und oft auch bei Sodbrennen.

Können Sie ein Beispiel erzählen, bei dem Sie sicher waren, dass die homöopathische Arznei und nicht nur Ihre Zuwendung geholfen hat?

Ja, ich erinnere mich sehr gut an eine Patientin, bei der in der Schwangerschaft plötzlich zahlreiche und sehr große Warzen im Vulvabereich auftraten. Nach einer Gabe von Thuja fingen die Warzen an zu jucken und zu bluten, die Patientin war sehr verunsichert, aber nach dieser Erstverschlimmerung gingen die Warzen rasch und vollständig zurück. Es waren keine äußeren Anwendungen notwendig, es blieben keine Narben, die Warzen traten in den folgenden Jahren nicht mehr auf. Oder eine andere Patientin, die einen starken Eisenmangel und eine Anämie entwickelt hatte. Sie hatte noch nie von Homöopathie gehört, ich wollte ihr eine Infusion mit einem Eisenpräparat geben, aber bereits nach den ersten 4 oder 5 Tropfen der Infusion gab es eine massive Schwellung an der Infusionsstelle, sie begann sich zu kratzen und entwickelte am ganzen Körper massive, rote, brennende Quaddeln, also eine ausgeprägte allergische Reaktion. Ich hätte ihr natürlich Cortison spritzen können, aber mir kam Urtica urens in den Sinn, nach einer einzigen Gabe war nach weniger als 10 Minuten der ganze Spuk vorüber. Die Patientin war ebenso überrascht wie ich, ich hatte vorher noch nie diese Arznei eingesetzt.

Sie haben in einem Gespräch kürzlich erwähnt, dass Sie letzten Sommer im Sudan spontan Vorlesungen über Homöopathie gehalten haben: wie kam es dazu und wie war die Resonanz?

Ich möchte meinem Land, dem Sudan etwas zurückgeben. Deswegen habe ich letzten Sommer kurzfristig eine Vorlesung zur Homöopathie angeboten. Es kamen 25 Ärztinnen und Ärzte, darunter ein Professor der Pharmakologie, der mal eine Zeit lang in Münster gearbeitet und über die Pflanze Moringa (Anm. d. Red.: Meerrettichbaum) geforscht hatte. Meine Vision wäre ein Mutter-Kind-Zentrum in der Hauptstadt Khartoum, in dem hauptsächlich homöopathisch behandelt wird. Es könnte ein Behandlungs-Camp entstehen, in dem ich mit anderen  Kolleginnen und Kollegen regelmäßig für zwei Wochen arbeite und dadurch die Homöopathie am Leben erhalten kann.

Können Sie uns noch zum Schluss erzählen, ob Sie selbst, sozusagen am eigenen Leib, die Wirkung der Homöopathie erlebt haben?

Ja, das liegt noch gar nicht so lange zurück: Als ich letzten Sommer aus dem Sudan zurück kam hat mich Corona erwischt. Innerhalb kurzer Zeit war ich schwer krank, im Vordergrund standen Schwäche, Benommenheit und ein eisiges Kältegefühl, ich lag drei Tage im Bett und wurde nicht warm, die übrigen Symptome haben sich von Tag zu Tag verändert. Am 3. Tag fiel mir wegen der Kälte das Arzneimittelbild von Camphora ein, und nach einer Gabe der Arznei war dieses intensive Frostgefühl schlagartig weg.

Wussten Sie zu diesem Zeitpunkt, dass Camphora für Fälle von Corona als eine mögliche Arznei bereits häufig empfohlen wurde?

Nein, das wusste ich nicht, ich habe mich nur an meinem Hauptsymptom, dieser eisigen Kälte orientiert. Dass Camphora als homöopathische Arznei bei Corona in Frage kommt habe ich erst beim Seminar des DZVhÄ-Landesverbandes Bayern im Herbst 2021 zum Thema Coronabehandlung erfahren.

Können Sie Ihre gynäkologisch-homöopathische Tätigkeit auf einen kurzen gemeinsamen Nenner bringen?

Mir liegt die Homöopathie sehr am Herzen, und wenn z.B. mit Arnica das Leben einer Gebärenden im Sudan gerettet werden kann, dann war mein Leben nicht umsonst.

Liebe Frau Tahir, wir danken Ihnen für dieses Gespräch, Ihre Zeit und Ihr Engagement für die Homöopathie.

Das Interview führte Dr. med. Ulf Riker, Vorsitzender des LV Bayern