München 15. Februar 2023. Kommentar von Dr. med. Ulf Riker, Internist, 1. Vorsitzender des DZVhÄ-Landesverbandes Bayern, zur Homöopathie-Placebo-Debatte.

„Nichts ist besser als gar nichts“ – das Zitat stammt vom Dramatiker, Dichter, Maler und Schauspieler Herbert Achternbusch. Claudia Roth, Kulturstaatsministerin, würdigte ihn aus Anlass seines Todes vor einem Jahr als „Heimatkünstler im allerbesten Sinne“, und die „Augsburger Allgemeine“ nannte ihn damals in einem Nachruf einen, der „die begradigten Gehirne“ durchspült. Ob er der Homöopathie positiv, kritisch oder ablehnend gegenüber stand wissen wir nicht. Aber in Bayern dürfen wir uns auf den gebürtigen Münchner berufen, wenn es darum geht, etwas Sediment aus den Hirnwindungen mancher Zeitgenossen zu spülen.

Eine ziemlich zähe und durch ständige Wiederholung festhaftende „Ablagerung“ in unserem Denken ist die Vorstellung, Homöopathie könne nur als Placebo wirken. Die plakative Verkürzung ist verführerisch einfach und suggeriert, man könne eigentlich komplett auf Homöopathie verzichten. Aber stimmt das wirklich?

Zählen wir einfach mal eins und eins zusammen!

Wenn die Gegner der Homöopathie unterstellen, Homöopathie wirke nicht über den Placebo-Effekt hinaus, dann sagen sie auch:

Homöopathie wirkt! Denn auch ein Placebo wirkt. Nicht einmal notorische Skeptiker leugnen das. Immerhin gibt es mit der noch nicht sehr alten Placebo-Forschung eine Grundlage, auf der die Wissenschaft versucht, den Wirkmechanismen auf die Spur zu kommen. Vieles ist bereits geklärt, Anderes noch offen. Aber das ist egal, wir wissen ja auch noch nicht, wie homöopathische Arzneien wirken. Vermutlich sollte man also eine offene Frage nicht mit einer Methode analysieren, die selbst noch blinde Flecken hat.

Die Wirkung eines Placebos können wir uns bis zu einem gewissen Grade erklären, wenn wir die Psycho-Neuro-Immunologie zu Rate ziehen, womöglich noch ergänzt durch kulturhistorische, spirituelle und soziologische Aspekte. Klingt nicht so ganz einfach, ist es auch nicht. Auf jeden Fall sind Placebo-Effekte eingebettet in ein komplexes Netz von Ursachen, Bedingungen und Wechselwirkungen, was einfache und lineare Schlussfolgerungen nicht plausibel erscheinen lässt. Halten wir also fest: Placebo zeigt Wirkung (Nocebo auch!), also ist das „Nichts“ einer Scheinarznei unter Umständen „besser als gar nichts“. „Gar nichts“ entspräche Hände in den Schoß legen, abwarten, nichtstun.

Unter diesem Blickwinkel lässt sich z.B. die derzeitige Mangelsituation bei zahlreichen Medikamenten betrachten: sind Fiebersäfte oder Antibiotika in Apotheken nicht erhältlich, dann können Apotheker:innen zwar ihr Bedauern zum Ausdruck bringen, denn „schuld“ sind sie an der prekären Situation ohnehin nicht. Aber das nützt den Kranken nicht wirklich. Also Wadenwickel, Teetrinken, oder warten und beten, bis die Patienten die Krankheit aus eigener Kraft (welcher „Kraft“ eigentlich?) selbst überwunden haben? Das wäre eine Möglichkeit: „gar nichts“ tun und Däumchen drehen. Eine andere Option: Homöopathie einsetzen! Also wenigstens den angenommenen Placebo-Effekt ins Feld führen. Denn unter ärztlicher Aufsicht ist Homöopathie sicher, mindestens so „sicher“ wie ein „wait and see“ mangels wirksamer Alternativen!

Was aber, wenn homöopathische Arzneien doch mehr könnten, als Placebo-Effekte auslösen? Placebo-Wirkung plus zusätzliche Arzneiwirkung der geeigneten Globuli wäre auf jeden Fall zweimal mehr als gar keine Therapie wegen leerer Apothekerschränke!

Mit fundierter Ausbildung und entsprechender Praxiserfahrung, unterstützt durch konsequente Supervision durch Homöopathie-erfahrene Praktiker sind wir als Ärztinnen und Ärzte in der Lage,  Paracetamol, Ibuprofen, Salicylsäure, in vielen Fällen auch Antibiotika, Antiallergika und Einiges mehr zu ersetzen: nicht nur, wenn bei entsprechenden Arzneien „Lieferketten gerissen“ sind, sondern schon immer! Aber natürlich kann Homöopathie keine fehlenden Arzneien wie z.B. Tamoxifen oder Krebsmittel ersetzen. Weil aber homöopathisch qualifizierte Ärztinnen und Ärzte immer „auf zwei Beinen stehen“ (einem Bein der konventionellen Medizin und einem der Homöopathie) ist die Versorgung von Patientinnen und Patienten in diesem setting sicher! Und sicher effektiver als „gar nichts“ zu tun oder tun zu können, weil uns die pharmazeutische Industrie im Stich lässt.

Was schließen wir daraus?

Wir sollten alle – Politiker:innen, Ärzt:innen, Journalist:innen – mehr ehrliche Offenheit an den Tag legen, die Bereitschaft haben zu sagen: der oder die Andere könnte auch recht haben! Homöopathische Ärzt:innen sind keine Dummköpfe oder Scharlatane, sondern qualifizierte Mediziner:innen! Diese oder jene allopathische Therapieoption lässt sich durch Homöopathie ersetzen! Also ein gesundes Miteinander pflegen. Patient:innen hätten dann auch die Freiheit, im Rahmen ihrer individuellen Resilienz selbst zu entscheiden, ob sie lieber von Apotheke zu Apotheke ziehen, bis sie eine Schachtel Antibiotikum oder einen Fiebersaft ergattern, oder ob sie sagen: okay, ich habe da meine kleine oder größere homöopathische Hausapotheke, also frage ich meinen Arzt bzw. meine Ärztin, ob ich lieber Gelsemium oder Ferrum phosphoricum oder eine andere homöopathische Arznei in C30 oder C 200 nehmen soll.

Woher wir als qualifizierte Ärzt:innen wissen, dass homöopathische Arzneien über den Placebo-Effekt hinauswirken? Das wird Inhalt eines weiteren Kommentars sein.