Dr. med. Peter Lehmann ist in einer internistischen Praxis in Gräfelfing bei München niedergelassen. Er ist Internist, Anästhesist, Notarzt – seit über 40 Jahren Arzt. Gegen Ende seiner Berufstätigkeit hat er in München die Weiterbildung Homöopathie begonnen.

Herr Kollege Lehmann, Sie sind Jahrgang 1948 und blicken auf ein reiches und vielfältiges Berufsleben zurück. Erzählen Sie uns doch bitte kurz ihren beruflichen Werdegang und was Ihnen in Ihrem Arztberuf das Wichtigste ist.

Ja, ich habe zwei Fachärzte: zum einen bin ich Anästhesist und war in diesem Fachgebiet einige Jahre als Oberarzt im Klinikum München-Großhadern tätig. Zum zweiten bin ich auch Internist und als solcher niedergelassen in eigener Praxis. Während meiner Ausbildung habe ich darüber hinaus auch die Qualifikation als Notarzt erworben, was mir bis heute ein hohes Maß an Sicherheit im Praxisalltag gibt. Während meiner gesamten beruflichen Tätigkeit war mir der persönliche Kontakt zum Patienten wichtig, vor Allem auch, den kranken Menschen immer als Ganzes zu sehen.

Was läuft nach Ihrer Beobachtung im deutschen Medizinsystem gut und wo sehen Sie besonders wichtigen Korrekturbedarf?

Der Vorteil der heutigen Medizin ist die zunehmende Spezialisierung und die immer bessere Methodik, den Patienten zu helfen. Leider geht aber in der facharztorientierten Medizin der persönliche Kontakt zum Patienten allzu oft verloren.

Sie absolvieren zurzeit Kurse mit dem Ziel der Zusatzbezeichnung Homöopathie. Sie haben ja nun schon mehr als 40 Jahre Facharzttätigkeit hinter sich und sind in eigener Praxis niedergelassen. Was hat Sie dazu bewogen, sich jetzt auch noch der Homöopathie zuzuwenden?

Ich treffe immer wieder auf Patienten, die nach eingehender internistischer Untersuchung trotz Leidensdruck keinen wirklich krankhaften Befund aufweisen. Daher stellte ich mir die Frage, wie ich diesen Patienten gerecht werden kann und habe für mich in der Homöopathie einen guten Weg dorthin gefunden. Dabei kann ich berücksichtigen, dass sich der Patient durch alle seine Symptome zum Ausdruck bringt, also durch objektive ebenso wie durch subjektive. Beispielsweise behandle ich viele Patienten mit Bluthochdruck oder Herzrhythmusstörungen, also ernsthafte Erkrankungen, die sich oftmals auch auf die Befindlichkeit des Patienten auswirken und auch Ängste oder ähnliche Symptome auslösen können. Die Homöopathie gibt mir hier die Möglichkeit, nach einer eingehenden internistischen Untersuchung ergänzend oder auch für sich alleine dem Patienten eine fundierte Behandlung zu bieten.

Wo sehen Sie als Facharzt mit langjähriger Berufserfahrung die Grenzen der konventionellen, in Ihrem Fall der Inneren Medizin, und was erwarten Sie sich diesbezüglich von einer homöopathischen Zusatzqualifikation?

An erster Stelle steht für mich immer die korrekte internistische Diagnostik. Parallel dazu – und das kann ich zeitlich nicht voneinander trennen – nehme ich immer den ganzen Menschen wahr. Wenn nach konventioneller Diagnostik Fragen offen bleiben oder Dinge auftauchen, die nicht in das internistische Diagnosegerüst passen, dann versuche ich, diese unter homöopathischem Blickwinkel miteinander in Verbindung zu bringen.

Und jetzt auch gleich noch andersherum gefragt: wo denken Sie liegen die Grenzen für die Homöopathie aus ärztlicher Sicht?

Es gibt Grenzen für die Homöopathie, und zwar immer dann, wenn es um echte Notfälle geht. Das schließt nicht aus, dass ich homöopathisch mitbehandeln kann, aber Priorität hat dann immer die Unterstützung und Sicherung der Vitalfunktionen. Hier kommt dann einfach meine notärztliche Erfahrung zum Einsatz. Und das bedeutet natürlich Sicherheit für den Patienten.

Sie absolvieren Ihre Weiterbildung Homöopathie ja derzeit beim Landesverband der homöopathischen Ärzte Bayerns. Fühlen Sie sich hier auf eine Integration der Homöopathie in Ihren ärztlichen Alltag ausreichend gut vorbereitet?

Die Weiterbildung legt großen Wert auf Qualität und ist sehr praxisbezogen, so werden wir anhand von echten Fällen ausgebildet, die von erfahrenen Medizinern behandelt wurden. So können wir aus direkter Quelle lernen, wie sich die optimale Verbindung zur Schulmedizin herstellen lässt. Dazu gehört auch, dass nach jeder homöopathischen Anamnese eine sorgfältige Untersuchung und Befunderhebung erfolgen muss.

Würden Sie jungen Ärztinnen und Ärzten dazu raten, sich ebenfalls der Homöopathie zuzuwenden, und wenn ja: mit welchen Argumenten?

Ich würde nicht nur jungen, sondern allen Ärztinnen und Ärzten raten, sich der Homöopathie zuzuwenden und sich wenigstens Grundkenntnisse zu erwerben, um das Fach soweit zu verstehen, damit sie im Einzelfall einen Patienten auch zu einem homöopathisch arbeitenden Kollegen überweisen können. Wir überweisen ja auch unsere Patienten bei Bedarf z.B. an einen versierten Nephrologen oder Kardiologen, wenn es um spezielle Fragen geht. Allopathie und Homöopathie können sich so sehr gut ergänzen.

Etliche Landesärztekammern haben die Homöopathie jüngst aus ihrer Weiterbildungsordnung eliminiert. In Bayern steht eine Entscheidung in absehbarer Zeit an. Was würden Sie von den gewählten Delegierten des nächsten bayerischen Ärztetages erwarten hinsichtlich deren Abstimmungsverhalten und welche Argumente pro Homöopathie würden Sie ihnen gerne mit auf den Weg geben?

Ich wünsche mir sehr, dass die Entscheidung zu Gunsten der Homöopathie fällt und dass von den Delegierten des bayerischen Ärztetages darauf hingearbeitet wird, ein gemeinsames ärztliches Handeln zwischen Allopathie und Homöopathie zu ermöglichen und Synergien zu schaffen. Ich wünsche mir, dass das konkurrenzfrei gelingt, bestenfalls im Sinne qualitativer Konkurrenz im Interesse der Patienten.

Was glauben Sie: welchen Stellenwert wird die Homöopathie am Ende dieses Jahrzehntes in Deutschland haben? Oder anders gefragt: gehen Sie davon aus, dass die Wünsche und Erwartungen breiter Schichten der Bevölkerung nach einer Integrativen Medizin – inklusive Homöopathie – von der Politik erfüllt werden?

Ich hoffe, dass die Homöopathie am Ende des Jahrzehntes in Deutschland einen gleichwertigen Stand wie die konventionelle Medizin hat und dass beide Richtungen – gemeinsam und sozusagen mit „sportlichem Ehrgeiz“ – darum wetteifern, wer dem Kranken im Einzelfall besser helfen kann.

Noch eine sehr persönliche Frage: wie gehen Sie persönlich damit um, dass homöopathische Arzneien eine Heilwirkung haben sollen, obwohl doch ab einer bestimmten Potenzhöhe keine wirksamen Moleküle enthalten sind? Was löst dieses Plausibilitäts-Dilemma in Ihnen aus?

Wenn wir nur das Messbare gelten lassen und Individualität, Spiritualität und Seele aus unserem ärztlichen Denken und Handeln ausklammern, dann grenzen wir zentrale Aspekte unseres Menschseins aus, dann verarmen wir alle zusammen. Um es positiv auszudrücken: das Dilemma rückt rasch in den Hintergrund, wenn die Erfahrung des Momentes überzeugend genug ist.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Eine meiner ersten Erfahrungen war mit unserem Cocker Spaniel, der an Silvester unter der Knallerei eine derartige Angst entwickelt hat, dass wir ihm helfen wollten. Alle Zuwendung und schützende Nähe waren nicht in der Lage, seine Angst zu bewältigen. Eine Gabe Aconitum aber hat ihn in ganz kurzer Zeit beruhigt und alle vegetativen Begleiterscheinungen der Angst zum Verschwinden gebracht.

Haben Sie vielleicht noch ein „menschliches“ Beispiel in Erinnerung?

Eine Patientin, ca. 70 Jahre, berichtet über Schlafstörungen. Diese war dadurch begründet, dass sie einerseits feuerrote Füße hatte, von denen aber nur einer heiß, der andere eher kalt war. Ein Bein war immer außerhalb der Bettdecke, das andere unter der Decke. Gleichzeitig war sie sehr wärmeintolerant, saß mir aber in einer Daunenweste gegenüber mit eiskalten Händen, die ebenfalls feuerrot waren und machte den Eindruck als täte ihr eine Wärmflasche gut. Nach einer Gabe von potenziertem Jod war die Temperaturregulationsstörung im Verlauf von vier Wochenkomplett ausgeglichen und die Patientin konnte wieder problemlos einschlafen. Gleichzeitig verschwanden die Wärmeintoleranz sowie die Rotfärbung der Extremitäten.

Gibt es für Sie im Rückblick einen Fehler in Ihrer beruflichen Laufbahn, den Sie gerne vermieden hätten?

Ich erlebe die Homöopathie als äußerst spannend und habe rückblickend viel zu spät damit angefangen. Es war vorher eben noch nicht mein Weg.

Vielen Dank für das Gespräch!

Die Fragen stellte Dr. med. Ulf Riker