Am 24. März startete der Arzt Karl-Wilhelm Steuernagel mit 4 Tonnen Hilfsgüter in Richtung ukrainische Karpaten. Auf dem Rückweg sollen Menschen, die auf der Flucht sind, nach Kassel gebracht werden. Der Landesverband Bayern bat in seinem aktuellen Newsletter zur Unterstützung dieser Tour. Ein Bericht von Karl-Wilhelm Steuernagel, der Mitglied des Verbandes ist, über die ersten Tage dieser Fahrt.

Donnerstag, 24. März. In Kassel haben wir die letzten Tage Pakete angenommen und sortiert: warme Kleidung, Decken, Schlafsäcke, Material zur Wundversorgung, chirurgische Instrumente, Infusionen und Medikamente sowie Handys, Batterien, Taschenlampen, Starthilfekabel, sowie Windeln…
Heute ging es los, die erste Etappe nach Röttenbach bei Erlangen. Vier Europaletten mit Konserven, Nudeln, Wasser und nochmal Windeln warteten dort nebst etwa 30 Umzugskartons mit medizinischem Material. Mit Helfern aus der Gemeinde und vom Bauhof wurde der Hänger bis zur Halskrause beladen. Jetzt sind also etwa vier Tonnen Ladung an Bord – und zwei große Notstromaggregate fanden auch noch einen Platz. Morgen geht es dann weiter durch Tschechien, die Slowakei, den Norden Ungarns und Rumäniens bis in die ukrainischen Karpaten. Zwei bis drei Tage werden wir – Michael und ich, er ist emeritierter Geographie-Professor – wohl brauchen. Dann wird es nicht mehr planbar. Die Menschen, die wir mit zurücknehmen möchten sind vor einer Woche aus Mariupol entkommen und zu Fuß unterwegs. Momentan sitzen sie in Saporischa fest. Beschuss und Ausgangssperre. Und es sind noch 550km bis in die Karpaten. Ich hoffe, dass wir ihnen noch weiter entgegenkommen können! Aber wer weiß… Wir werden es versuchen.

Samstag, 26. März. Wir haben am Abend Kosice im Osten der Slowakei erreicht. Die Fahrt führte durch herrliche Landschaften – die Hohe Tatra im Sonnenschein. Sorge macht mir der Hänger. Viele lange Gefälle, schmale gewölbte Fahrbahn und viele Kurven erhitzen Reifen und Achslager stark. Deshalb sind bei der schweren Last viele Stopps zwecks Abkühlung nötig. Zudem schwankt die Ladung nicht unerheblich. Es ist wie ein Tablett voller Sektgläser das Du bei Seegang um die Kurve balancierst…

Sonntag, 27. März. Heute mussten wir als erstes unseren Plan ändern: mit dem schwer beladenen Hänger konnten wir es nicht bis Rumänien schaffen. Zu viele lange Gefälle, heiße Achsen und das Risiko das die Reifen abbrennen. Also haben wir Kurs auf Ushorod genommen, dass 100 km östlich von Kosice in der Ukraine liegt. Dies in der Hoffnung an der Grenze eine Sammelstation zum Weitertransport zumindest der schweren Lebensmittel-Paletten vorzufinden wie z.B. in Przemysl an der polnisch-ukrainischen Grenze. Aber: Fehlanzeige.
Stattdessen durften wir Formulare ausfüllen: welche Waren werden ausgeführt. Eine Liste sollte vorgelegt werden – nur wie? Alles abladen? Schließlich hatte einer der slowakischen Zöllner die Idee, das doch pauschal per Gewicht zu machen. Ergo: 200 Meter zurück rangieren und zweimal über die elektronische Waage fahren. Es wurden dann 3,8 Tonnen Last zur Ausfuhr eingetragen.

Dann ging‘s zu den ukrainischen Zöllnern. Dort wurde unser Gespann 2 x durchleuchtet. Dann galt es Papiere auszufüllen. Mangels genügender Kenntnissen unsererseits haben das die Damen des Zolls für uns erledigt. Das nächste Problem: wer ist der Empfänger? Name, Straße, Telefonnummer. Das hatten wir nicht. Aber Not macht erfinderisch: Central Hospital in Ushorod! Ein Zoll-Oberer (3 Sterne) rief den Chefarzt der Klinik an, der uns 20 Minuten später an der Grenze abholte. Iwan, so stellte er sich vor, fuhr also vorweg und in der Klinik machten sich als bald ein Dutzend ÄrztInnen, Schwestern und Pfleger ans Ausladen. Da herrschte eitel Freude und ausgelassene Stimmung. Ein Lichtblick in der Dunkelheit…
Zweieinhalb Stunden wurde geschleppt. Medikamente, Infusionen, Spritzen, Schutzkleidung, Verbandmaterial, Dosen mit Linsensuppe, Fischkonserven, Windeln, Kleidung, Schlafsäcke, Decken, selbst zwei rieige Notstromaggregate, alles wurde zur Weiterverteilung in die Klinik verfrachtet.

Dann standen alle zusammen und der Chefarzt hielt eine sehr bewegende Ansprache. Unverständnis über die grausamen Ereignisse und die Sehnsucht nach Frieden, Dank für die unerwartete Hilfe und Unterstützung und die Hoffnung auf den Zusammenhalt der Menschen waren seine Worte…
Wegen der drohenden Gefahr der Bombardierung gerade der Städte und zivilen Ziele fuhren wir dann weiter über Land gen Osten.

Noch vor Eintritt der Dunkelheit die nächste Planänderung: die flüchtende(n) Familie(n) sitzen zwar noch in Saporischa fest, haben aber eine Möglichkeit via Lwiw (Lemberg) in Aussicht und werden dort von einem weiteren Team abgeholt. So sind wir alsdann zunächst nach Süden abgebogen und wollten die Grenze bei einer Brücke über die Theiss in der Nähe von Sighetu Marmateei erreichen. Diesel gibt es, wenn überhaupt nur 20 Liter. Tiefe Löcher in der Straße dafür ausreichend. An einer Tankstelle trafen wir schließlich zwei Soldaten einer Grenzpatrouille. Die fuhren dann vorneweg und wiesen uns den nicht ausgeschilderten Weg zur Brücke. Während wir ihnen in abenteuerlichem Tempo durch die Löcherpiste folgten, ertönten die Sirenen: Fliegeralarm. Deshalb wurde der Grenzübergang geschlossen und wir warteten im hellen Licht einer Laterne vor dem geschlossenen Schlagbaum. Ein sehr mulmiges Gefühl beschlich uns – aber weg konnten wir ja nicht. Nach 30 Minuten war der Alarm vorbei und die Abfertigung konnte beginnen. Spät in der Nacht kamen wir in Rumänien an. Wir registrierten uns noch für einen Transport für Flüchtende nach Deutschland und werden morgen wohl erst mal einen Tag pausieren…

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