Edzard Ernst kennt sich aus: er ist einer der profiliertesten Kritiker der Alternativmedizin, vor Allem der Homöopathie und missionarischer Kämpfer gegen Irrationalismus. Wie er dazu kam? In einem Interview der NZZ vom 26. April 2022 gewährt er Einblick in seine Motivation: Als junger Arzt habe er „einige Monate in einem homöopathischen Spital gearbeitet, sogar mit Erfolg.“ Das Spital war das Münchner „Krankenhaus für Naturheilweisen“, und gerne würde man den damaligen Chefarzt, Dr. Walther Zimmermann fragen, ob er sich noch an Herrn Ernst und seine „Erfolge“ erinnern kann, aber leider ist Dr. Zimmermann nicht mehr unter uns (als Verfasser dieser Zeilen erinnere ich mich freilich noch sehr gut an ihn, denn er war auch über mehr als 2 Jahre mein Lehrer in Sachen Naturheilverfahren und Homöopathie; und vor Allem war er es, der mich durch einen homöopathischen Selbstversuch mit frappierendem Ergebnis auf die Spur der Homöopathie gelockt hat…)

Aber zurück zu Herrn Ernst: „… einige Monate in einem homöopathischen Spital…“, und schon ist es um ihn geschehen, er schlägt sich selbst zum Ritter und gibt in dem genannten NZZ-Interview selbstzweifelsfrei zu Protokoll:“ Darum weiß ich, wovon ich rede.“ Sein rasanter Erkenntnisgewinn ermöglicht es ihm, sich zum Experten zu erklären, wo doch viele ernsthafte Ärztinnen und Ärzte schon immer zumindest ein paar Jahre brauchen, um sich nach zeitaufwändiger Ausbildung erste homöopathische „Gehversuche“ in eigener Praxis zuzutrauen.

Mal im Ernst, Herr Ernst: was waren denn eigentlich die „Erfolge“ jener Monate? Durften Sie dem durchaus strengen Chefarzt bei seinen Visiten die Patientenakten tragen? Oder haben Sie selbst homöopathische Arzneien für die Patienten der Klinik auswählen dürfen? War der Chef mit Ihrer Wahl einverstanden, konnten sie ihm diese rational erklären? Wie haben Sie in der Kürze Ihrer Zeit herausgefunden, ob Ihre Arzneiwahl oder das gleichzeitig durchgeführte Heilfasten, die Wickel und Packungen, die Pflanzenarzneien für Linderung oder gar Heilung der Patienten maßgeblich war? Wie viele Langzeitverläufe konnten Sie bei „Ihren“ Patienten beobachten?

Der Zweifel sei erlaubt, dass man nach wenigen Monaten eigener Erfahrung mit einer hochdifferenzierten und komplexen Heilmethode bereits davon reden kann, man wisse, wovon man redet. Näher liegt die Vermutung, dass Sie es sich einfach ein bisschen zu leicht gemacht haben: lieber theoretisch und mit dem Prügel simpler Erklärungsmuster („nix drin, also nix dran“) und einem überschaubaren Weltbild („Evidenz beruht ausschließlich auf wissenschaftlichen Studien“) auf alles einschlagen, was nicht in die eigene Anschauung der Welt passt. Ärztliche Erfahrung von mehr als „einigen Monaten“ ist in Ihrer Weltsicht absolut überflüssig, ja geradezu kontraproduktiv, vielleicht sogar „gefährlich“, weil sie im Einzelfall dazu führen könnte, mit dem naturwissenschaftlichen und biomathematischen Alleinvertretungsanspruch (Stichwort: externe Evidenz) zu konkurrieren.

Homöopathische Ärztinnen und Ärzte haben wie Sie eine akademische Ausbildung, aber im Gegensatz zu Ihnen meist eine um Welten größere Praxiserfahrung! Das ermöglicht individuelles Abwägen möglicher Behandlungswege, z.B. bei multimorbiden Patienten (für deren Behandlung es zumeist überhaupt keine Evidenz aus Studien gibt) oder bei solchen, die eine eigentlich indizierte Therapie wegen Nebenwirkungen nicht tolerieren. Wissenschaftsbasiertes und gleichzeitig erfahrungsgestütztes Abwägen ist genuine ärztliche Aufgabe. Darauf müssen sich Menschen im Falle von Krankheit verlassen können. Dieses Vertrauen mit intellektueller Überheblichkeit („Nicht nur kranke, auch gesunde Menschen glauben unendlich viel Unsinn“) in Frage zu stellen ist der eigentliche Skandal. Demgegenüber sind Ihre praxisfernen Analysen eher substanzlos und albern.