„Wir verstehen die Physiologie des Menschen erst, wenn wir sie in einen Zusammenhang mit seinem gelebten Leben bringen“

                                                Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. m. sc. Christian Schubert

Der Arzt, Psychologe, Psychotherapeut und Psychoneuroimmunologe Schubert beschreibt in seinem sehr empfehlenswerten Buch „Was uns krank macht – was uns heilt“ das Vorgehen, das am Institut für Medizinische Psychologie an der Uni-Klinik Innsbruck zur Anwendung kommt: Einzelfall-Studien im Sinne des „Life as it is lived“.

Die Einbettung einer Krankheit in den größeren Gesamtzusammenhang der psychosozialen Biografie definiert ein Verständnis von Gesundheit und Krankheit, das jenseits dessen liegt, was wir mit technischer Befunderhebung und biomathematischen Analysen erfassen können. Rita Charon, die den Begriff „narrative Medizin“ geprägt hat, beschreibt, wie sie sich ihren Patienten nähert: “Als Ihre Ärztin muss ich eine ganze Menge über Ihren Körper, Ihre Gesundheit und Ihr Leben wissen. Erzählen Sie mir bitte, was Sie meinen, was ich wissen sollte“.

Ohne Zweifel hat eine leitlinienorientierte Medizin in zahlreichen Fällen ihren Sinn und Wert, wenn rasch Entscheidungen zu treffen sind. In einer großen Zahl vor Allem chronischer Krankheiten greift dieses Prozedere aber zu kurz, zumindest dann, wenn Interesse an einem tieferen Krankheitsverständnis besteht und die Therapie nicht nur in der routinierten Verordnung allopathischer Medikamente besteht. Die moderne Psychoneuroimmunologie lässt das eindimensionale Denken der konventionellen Medizin ebenso weit hinter sich wie es die Quantenphysik mit der „alten“ Newtonschen Physik tut.

Und was hat das jetzt mit Homöopathie zu tun?

Der Bogen zur Homöopathie lässt sich spannen, wenn man sich Hahnemanns Anweisungen zu einer vollständigen Anamnese-Erhebung vor Augen hält. Ihm war bereits vor mehr als 200 Jahren klar, welche Bedeutung zum Beispiel „das Gemüt beugende Ereignisse“ für die Entwicklung einer Krankheit haben können. Heute aber scheint es eher modern zu sein, zeitaufwändige und zugewandte Anamneseführung im Rahmen der Homöopathie zu disqualifizieren: bestenfalls könnten sie ein direkter Weg zu nicht mehr als einem Placebo-Effekt sein.

Was wäre andererseits „schlimm“ daran, wenn die Anamnese bereits in der Lage wäre, Selbstheilungskräfte zu stimulieren, denen gezielt ausgewählte homöopathische Arzneien dann ihre „Richtung“ geben? Eine Kraft braucht eine Richtung (einen Vektor), die zur Entfaltung einer Wirkung führt. Keiner von uns wird bestreiten, dass es auch im Bereich Homöopathie – wie überall in der Medizin! – Placebo-Effekte gibt. Wenn sich erfahrenen HomöopathInnen der Unterschied  zwischen Arzneiwirkung und Placebo-Effekt in vielen Fällen sehr deutlich zu erkennen gibt, dann hätten wir es womöglich mit einem Synergie-Effekt zwischen Anamnese und Arznei zu tun. Vielleicht ein lohnender Aspekt für weitere Forschung im Grenzgebiet zwischen Psychoneuroimmunologie, Placebo-Forschung und der Homöopathie Hahnemanns?

Dr. med. Ulf Riker