Dr. med. Ulf Riker (Vorsitzender des LV Bayern) interviewt Dr. med. Franziska Bläuer, Praktische Ärztin aus Uster in der Schweiz. Sie ist niedergelassen in einer eigenen Vertragsarztpraxis. Dr. Bläuer ist seit 2019 in der Weiter- und Fortbildungskomission der SVHA und Referentin des Deutschen Ärztekongresses im Mai in Lindau. Ein Interview über die Homöopathie in der Schweiz, über Praxis, Ausbildung und Gesundheitssystem. Aber auch zum Thema Homöopathie-Kongress (9.-11. Mai in Lindau).

Die Schweiz ist das Land, das sprichwörtlich für Qualität und Präzision steht. Kann man das auch auf die ärztliche Homöopathie übertragen und was fällt Dir dazu in erster Linie ein?

Mit Qualität und Präzision wird in der Schweiz allem voran in der Uhrenindustrie prominent geworben. Solche Faktoren haben wohl aber auch die Homöopathie in der Schweiz mitgeprägt. Wir stehen auf den Schultern großer Homöopathen, die zu einer qualitativ hochstehenden homöopathischen Praxis beigetragen haben. Pierre Schmidt hat nicht nur die Liga Medicorum Homoeopathica Internationalis mitgegründet, sein Einfluss reichte bis nach Indien und Südamerika. Zusammen mit Jost Künzli wurde die Arbeit von Hahnemann und den nachfolgenden Pionieren in der Schweiz verankert und in einer Weise kultiviert, welche den Boden bereitete, auf dem die Integration der Homöopathie in die konventionelle Medizin möglich wurde. Mit der wissenschaftlichen Arbeit von Stephan Baumgartner an der Universität Bern schätzen wir uns glücklich, heute qualitativ gute Informationen aus solider Arbeit zur Verfügung zu haben. In Lindau werden zudem langbekannte, hochgeschätzte Kollegen wie Clemens Dietrich, Hanjörg Hée, Beat Spring und Klaus von Ammon den Kongress bereichern. Und auch in der nachfolgenden Generation wird Präzision im jeweiligen Fachgebiet hochgehalten, von Jürgen Pannek in der Neuro-Urologie, von Holger Malchow in der Clinica Spinedi, von Kyriaki Stephanidou in den Fußstapfen von Vithoulkas und von Gisela Etter nicht nur in langjähriger Praxis und Lehrtätigkeit, sondern auch zunehmend in außerordentlicher politischer Vernetzung, nicht zuletzt auch mit Yvonne Gilli, der Präsidentin des Schweizerischen Ärzteverbandes, die zur Podiumsdiskussion anreisen wird. Zum Thema Long COVID wagen wir mit Philipp Busche und Severin Pöchtrager einen Blick über den Gartenhag, da in der anthroposophischen Klinik Arlesheim als offizielles Schweizer Listenspital mit einer offiziellen Long COVID-Sprechstunde im  komplementären Bereich eindeutig am meisten Erfahrung gesammelt werden konnte.

In der Schweiz habt ihr es geschafft, dass der Bundesrat 2017 die Homöopathie in den Leistungskatalog der Grundversicherung aufgenommen hat. Wie habt ihr das hingekriegt und was würdet ihr anderen Ländern raten, die sich die Schweiz zum Vorbild nehmen möchten?

Unser politisches System ist hierfür sicherlich ein Glücksfall. Entscheidend war eine Volksinitiative für Komplementärmedizin, die von 2/3 der Wählenden gutgeheißen wurde. Unabdingbar sind eine gute Vernetzung und ausdauernde politische Arbeit, die gestützt und getragen sein muss durch eine kritische Masse. Es ist wichtig, politisch mit einer Stimme zu sprechen und sich nicht zu verzetteln oder gegeneinander aufwiegeln zu lassen. Es braucht viel Engagement und Herzblut der Involvierten und Unterstützung ideell und finanziell der Mittragenden. Auch jetzt sind alle gefordert. Die gegenwärtige Situation wird in 5 Minuten in einem Radiointerview mit Yvonne Gilli und Stephan Baumgartner gespiegelt: https://www.srf.ch/wissen/gesundheit/homoeopathie-in-der-schweiz-soll-die-grundversicherung-weiterhin-fuer-globuli-zahlen

In Eurer Fortbildungsakademie bietet ihr „Kompetenzbasiertes Lernen“ an und habt das System EPA bereits (teilweise?) integriert. Kannst Du unseren Mitgliedern kurz erklären, worum es sich dabei handelt, was die Vorteile sind und wie ihr auf diesen zukunftsweisenden Weg der Weiterbildung gekommen seid?

Ich beginne mit der letzten Frage zuerst, damit verständlich wird, worum es geht. Integration der Homöopathie ins Gesundheitswesen bedingt auch die Integration der Homöopathie- Weiterbildung in die medizinische Weiterbildung. Im Medizinstudium wurde die Umstellung von einem Wissenskatalog zu kompetenzbasierten Lernzielen bereits 2002 vollzogen, seit 2017 basiert das ganze Medizinstudium auf so genannten EPA’s, den 3 Buchstaben für Entrustable Professional Activity. In den nächsten Jahren soll nun auch die ganze ärztliche Weiterbildung auf EPA’s basieren. Die Kardiologen gingen als europäisches Flaggschiff voraus, die Pädiatrie und Allgemeine Innere Medizin sind dran. Wir haben uns dank Gisela Etters jahrelanger Vorarbeit dort anschließen können. Ein EPA 1 für „integrativmedizinische homöopathische Behandlung von akuten Krankheiten und Verletzungen“ und ein EPA 2 für „integrativmedizinische homöopathische Begleitung/ Behandlung von chronischen Krankheiten/ Verletzungsfolgen“ konnte Ende 2023 eingereicht werden und befindet sich nun in der Vernehmlassung. Aus dem bestehenden Fähigkeitsprogramm Homöopathie (SVHA) wird schriftliche Wissensprüfung bleiben. Zusätzlich wird die Kompetenz und Fertigkeit, selbständig Patienten homöopathisch behandeln zu können, in Assessments erfasst. Einer der Vorteile ist, dass wir in der ärztlichen Weiterbildungslandschaft sichtbar bleiben, wenn unsere EPA’s vom offiziellen Institut (SIWF) anerkannt werden, so wie es der Fähigkeitsausweis Homöopathie (SVHA) bereits heute ist. Und wir erhoffen uns weniger „Drop-outs“, wenn mit dem Erhalt des Diploms nicht nur Wissen und Fertigkeit bescheinigt wird, sondern auch die Praxistauglichkeit evaluiert und rückgemeldet wurde.

Wir freuen uns sehr, dass ihr zahlreiche hochkarätige Referentinnen und Referenten für unseren Drei-Länder-Homöopathie-Kongress im Mai in Lindau rekrutieren konntet. Was sollte der DZVhÄ Deiner Meinung nach noch beitragen, um auch in der Schweiz noch mehr Kolleginnen und Kollegen für diesen Kongress zu interessieren?

Die Kolleginnen und Kollegen in der Schweiz profitieren von einem eingespielten Team in Deutschland, das viel Expertise in der Organisation und Durchführung von großen Kongressen hat. Lindau hat eine kritische Masse, die in der kleinen Schweiz nicht zu erreichen ist, auch fürs gesellschaftliche Rahmenprogramm. Besonders in Zeiten, wo der Wind kühl weht, tut es gut, als Gruppe zusammenzustehen, sich auszutauschen und dem doch häufig im Alltag praktizierten  Einzelkämpfertum eine kontrastierende Erfahrung entgegenzusetzen. Um die Frage zu beantworten: es scheint mir, dass alles so gut als möglich aufgegleist ist. Nun liegt es an den Kolleginnen und Kollegen, nach Lindau zu kommen!

Hahnemann erwartet von uns, dass unsere homöopathischen Verschreibungen „nach klar einsehbaren Gründen“ und „ohne übersinnliche Ergrübelungen“ erfolgen. Welche „handwerklichen“ Fähigkeiten hältst Du in diesem Zusammenhang für besonders wichtig und wo siehst Du eher Gefahren?

Hier schließt sich der Kreis mit der der ersten Frage. Qualität und Präzision gelingen nur mit einem guten Handwerk, das man ständig zu verbessern sucht. In der Homöopathie sind die „klar einsehbaren Gründe“ eine ordentlich dokumentierte Anamnese, eine nachvollziehbare Analyse, Beurteilung und Mittelfindung aus der Gesamtheit der Symptome in adäquater Gewichtung. Das ergibt die nötige Basis für die Verlaufsbeurteilung, integrative Langzeitbegleitung, für die eigene Reflexion, den Austausch untereinander und die wissenschaftliche Evaluation. Gefahr lauert im Schlendrian, wenn man sich mit Zufallstreffern und Schönreden zufriedengibt. Selbst wenn individuell  erarbeitete Wege vom Patienten zur passenden Mittelverschreibung erfolgreich sind, können solche von Außenstehenden als „Übersinnliche Ergrübelungen“ interpretiert werden, wenn die Erklärung nicht den sprachlich gängigen Konventionen entspricht. „Klar einsehbare Gründe“ und „übersinnliche Ergrübelungen“ schließen sich gegenseitig aus. Um in der Homöopathie mit einer Stimme sprechen zu können, sollten wir verstärkt auf das fokussieren, was alle mittragen können, damit unser Boden für die Zukunft fruchtbar bleibt.

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DZVhÄ-Kongress, 9.-11. Mai 2024 Lindau im Bodensee: