Als wichtiges Thema für die Ärztekammer im Jahr 2020 nennt Dr. Heidrun Gitter, Präsidentin der Landesärztekammer Bremen, laut Weser Kurier, dass es notwendig sei, die Gesprächszeit für Ärzte besser zu vergüten. Während homöopathische Gespräche häufig privat bezahlt würden, könnten Hausärzte die Zeit, in der sie Patienten beraten, schlecht abrechnen: „Ein normales Hausarzt-Gespräch ist deutlich geringer vergütet als ein homöopathisches Gespräch“, stellt Gitter fest. Die Ärztekammer Bremen hat erst unlängst die Homöopathie aus der Weiterbildungsordnung gekippt und somit Ärztinnen und Ärzten die Grundlage entzogen, Homöopathie in Bremen zu erlernen. In einer konventionellen Arztpraxis dauert die durchschnittliche Sprechstunde ganze 7,6 Minuten – hier muss sich in der Tat etwas ändern. Doch geht es lediglich darum, Ärzten mehr Zeit mit ihren Patienten zu vergüten? Dr. med. Ulf Riker, Internist mit den Zusatzbezeichnungen Homöopathie und Naturheilverfahren, 1. Vorsitzender des Landesverbandes Bayern im DZVhÄ, geht der Frage nach, wo die Unterschiede zwischen „einem normalen Hausarzt-Gespräch“ und einem „homöopathischen Gespräch“ liegen:

  1. Ein „normales Hausarzt-Gespräch“ ist so wenig vergleichbar mit einem „homöopathischen Gespräch“ wie die Birne mit dem Apfel. Bereits die Form unterscheidet beide: im ersten Fall kann das Gespräch einer Diagnosestellung, der hierzu erforderlichen Diagnostik, der Erörterung einer Prognose, einer Krisenintervention, einer Lebensberatung, der Erörterung von Nebenwirkungen einer Therapie oder dem Gespräch am Sterbebett eines Patienten dienen. Im zweiten Fall dient das Gespräch ausschließlich der Identifizierung einer möglichst genau passenden homöopathischen Arznei. Entsprechend verschieden ist daher auch das, was einen Apfel von einer Birne unterscheidet, z.B. der „Geschmack“. Den Unterschied macht nicht nur die erforderliche Zeit, sondern auch der Grad der  Zuwendung, das Ausmaß an Nähe oder Distanz zum Patienten, die Bereitschaft, sich auf den Kranken als Mensch einzulassen oder auch die Erwartung der finanziellen Honorierung.
  2. In ein homöopathisches Gespräch fließen Jahre der zusätzlichen Weiterbildung zur Erlangung der homöopathischen Zusatzqualifikation ebenso ein wie die Fähigkeit, Möglichkeiten und Grenzen von Homöopathie und konventioneller Therapie im Hinblick auf Therapiesicherheit und Behandlungserfolg gegeneinander abzuwägen. Diese komplexe Leistung steht damit in deutlichem Kontrast zum „normalen Hausarzt-Gespräch“, das als solches zunächst gar nicht definiert ist.
  3. Ein Unterschied zwischen beiden Gesprächen wird im Ausmaß des Zuhörens deutlich: „Gespräch“ bedeutet ja nicht einfach „Sprechen“, sondern zunächst „Zuhören“. Zuhören erfordert  auch Zulassen, was nicht in die erlernten Leitlinien der Medizin passt. Im Idealfall liegt zwischen Beidem ein mehr oder weniger langer Moment des „Innehaltens“. Im normalen Arzt-Gespräch ist der Arzt als wissender Berater und als Handelnder, also überwiegend als Sprechender aktiv, während dem Patienten die Rolle des unwissenden Zuhörers und passiv Folgenden zukommt. Im setting der Homöopathie ist es genau umgekehrt: der Patient berichtet Erlebnisse, Symptome, Beschwerden, Gefühle und mutmaßliche Kausalitäten, während der  homöopathische Arzt zunächst unvoreingenommen hören und zulassen muss, was „ohrenscheinlich“ (Prof. Maio) die subjektive Welt des Kranken zur Geltung bringt.
  4. Zuhören als Voraussetzung jeden Gespräches auf Augenhöhe entspricht derzeit (noch) nicht der ärztlichen Sozialisation und findet auch keine adäquate Abbildung in den Inhalten des Medizinstudiums. In einem immer mehr ökonomisierten Gesundheitssystem mit dem Zwang zur Effizienzsteigerung und Beschleunigung der Prozesse bis hin zu allumfassender Digitalisierung wäre Zuhören in mehrfacher Hinsicht kontra-produktiv. Solange Zuhören bestenfalls Selbstzweck zur Rechtfertigung einer höheren finanziellen Honorierung (Idee von Frau Dr. Gitter) wäre hätte sie ihr eigentliches Ziel verfehlt.
  5. Überhaupt hat der Vorschlag von Gitter sein Ziel verfehlt: wenn Zuhören die alleinige Voraussetzung für den Eintritt eines Placebo-Effektes wäre, dann sollte nachweisbar sein, dass dieser Zusammenhang ausschließlich zur Heilung von Krankheiten ausreicht und eben auch in einem „normalen Arztgespräch“ wirksam wird. Der wissenschaftliche Nachweis, dass Zuhören z.B. Migräne oder Heuschnupfen dauerhaft heilen könnte steht im Bereich der konventionellen Medizin offenkundig noch aus. Solange dies so ist, lässt sich das Argument Gitters zur Steigerung von Gesprächs-Honoraren mit ihren eigenen Argumenten ad absurdum führen: ihre Annahme, Homöopathie falle in den Bereich der Glaubenslehren gilt ebenso für ihre eigene unausgesprochene Grundannahme: Ich glaube, dass ein „normales Hausarzt-Gespräch“ Ähnliches leistet wie ein „homöopathisches Gespräch“. Nur wenn dem tatsächlich und nachweislich so wäre ließe sich eine Angleichung der Honorierung der Gesprächsleitungen überhaupt vertreten.
  6. Wie fast immer in der Diskussion rund um die Homöopathie bleibt auch im  Vorschlag von Gitter der Patient unerwähnt. Die Anhebung des Honorars für Gesprächs- (und Zuhör!) Leistungen ist in allen Bereichen der Medizin, insbesondere  für Haus- und Allgemeinärzte, längst über fällig. Was aber hat das mit der Abwertung und einer de-facto-Eliminiation der Homöopathie zu tun, wie sie im Beschluss der LÄK Bremen deutlich wurde? Und was hat das mit unseren Patienten zu tun? Zuhören bestenfalls um seiner selbst willen und als Argument für Honoraranpassungen nach oben wird alle denkbaren Qualitäten eines heilungsfördernden Gespräches vermissen lassen. Das könnte man auch als Betrug am Patienten beschreiben.

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