München 14. Juni 2023. David Bohm, Professor Emeritus für theoretische Physik betonte einmal, dass „Dialog ein Prozess direkter Begegnung von Angesicht zu Angesicht“ sei und dass dieser Prozess „nicht mit endlosem Theoretisieren und endloser Spekulation verwechselt“ werden dürfe. Im Vorwort zu seiner lesenswerten Sammlung von Arbeiten („Der Dialog – das offene Gespräch am Ende der Diskussionen“ / Klett-Cotta) findet sich der Hinweis, dass dieser Prozess eine ungewöhnliche Bandbreite menschlicher Erfahrungen beinhaltet, nämlich „unsere tiefsitzenden Wertvorstellungen, Wesen und Intensität der Emotionen, die Muster unserer Denkprozesse, die Funktion des Gedächtnisses, die Bedeutung tradierter Mythen und die Art und Weise, in der unsere Neurophysiologie die Augenblickserfahrung strukturiert“.
Wenn auf dem jüngsten Evangelischen Kirchentag Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und Carla Hinrichs, Sprecherin der Letzten Generation auf einem Podium stehen, ihre Positionen vertreten und am Ende gleichermaßen Beifall ernten, dann muss etwas richtig gelaufen sein: Zuhörerinnen und Zuhörer haben trotz unterschiedlicher Meinungen mit Aufmerksamkeit zugehört, hie und da vielleicht ihre Sichtweisen modifiziert, Argumente als Fragmente eines größeren und hochkomplexen Gefüges von Realität wahr- und ernstgenommen und nicht zuletzt ein hohes Maß an gegenseitigem Respekt an den Tag gelegt. Geht doch! Danke für diese Lektion!
Zeitnah veröffentlicht ein Medienmagazin einen wichtigen Beitrag zur Streitkultur: Unter der Überschrift „Unsere Debatte ist kaputt“ plädiert die Autorin für ein neues Miteinander und prangert den aktuellen Status quo in Auseinandersetzungen an: „das Urteil ist unumstößlich, indiskutabel, endgültig und ebenso gnaden- wie respektlos“. Unversöhnlichkeit und mangelnde Gesprächskultur allenthalben. Das Resümee, Deutschland sei „eskalationssüchtig“ geworden lässt sich auf zahlreichen Themenfeldern beobachten, die Grenzen zwischen sachdienlicher Debatte und simplifizierendem Populismus verschwimmen. Danke auch für diese Lektion, die wir sehr ernst nehmen sollten.
Auch die Debatte um die Homöopathie ist kaputt: apodiktisches Pochen der Homöopathie-Gegner auf grundsätzliche und theoretische Positionen missachtet konsequent einen aus dem römischen Recht stammenden Grundsatz: audiatur et altera pars. Erfahrungen von Ärztinnen und Ärzten oder Patientinnen und Patienten haben sich einem vereinseitigten Evidenzbegriff unter zu ordnen und tauchen in der veröffentlichten Meinung ausgesprochen selten als gleichgewichtige Wortmeldungen auf.
Wir alle sollten uns an der Heilung der Debattenkultur beteiligen! In der Tat ist Homöopathie in einem naturwissenschaftlich dominierten Weltbild nicht leicht zu erklären. Wissenschaft alleine verhilft Menschen nicht zur Gesundheit, das bewerkstelligen in erster Linie diejenigen, die Wissenschaft mit Praxiserfahrung in Einklang bringen können. Als homöopathisch zusatzqualifizierte Ärztinnen und Ärzte müssen wir uns vermehrt outen als Experten des Abwägens, was notwendig, nebenwirkungsarm, hilfreich, kostengünstig und sicher ist! Begeben wir uns also aus der Deckung unserer Praxen und vermitteln Politikerinnen und Politikern, wer wir sind, was wir tun, warum wir genau so und nicht anders (be-)handeln! Wir alle kennen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens: laden wir sie im Sinne David Bohms zum offenen Gespräch und wo möglich sogar in unsere Praxen ein! Konfrontieren wir sie damit, was wir als „tiefsitzende Wertvorstellungen“ (bei unseren Patientinnen und Patienten) Tag für Tag erleben. Machen wir nachvollziehbar „die Muster unserer Denkprozesse“ deutlich. Erklären wir, wie unterschiedlich „unsere Neurophysiologie die Augenblickserfahrung strukturiert“ und dass „naturwissenschaftliches“ und „phänomenologisch-ganzheitliches“ Strukturieren keine Widersprüche sind!
Dr. med. Ulf Riker, Internist, 1. Vorsitzender des DZVhÄ-Landesverbandes Bayern