München, 5. November 2023. Im Jahr 2021 hat sich eine Gruppe von Professor:innen aus unterschiedlichen Fachdisziplinen zu einem Forum zusammengefunden, das unter der Überschrift Kritischer Geist in der Krise eine Erklärung „Zur Aufgabe von Wissenschaft“ veröffentlicht hat. Darin hieß es unter anderem:

„Sachliche Kontroverse und plurale Problemzugänge als Kennzeichen von Wissenschaft halten zugleich auch den Raum der demokratischen Selbstbestimmung der Bürgerinnen und Bürger offen“

Das Interessante: hier melden sich Wissenschaftler:innen zu Wort, die z.B. aus den Bereichen Wirtschafts- oder Rechtswissenschaft, aus Philosophie, Pädagogik oder Informatik stammen. Die Naturwissenschaften sind z.B. durch Medizin, Botanik und Molekularbiologie vertreten.

Wissenschaft wird also viel breiter gedacht, als es dem aktuellen Zeitgeist entspricht, der beim Thema Medizin und dem Stellenwert der Homöopathie den Fokus stillschweigend auf den aktuellen materialistisch-reduktionistischen Begriff der reinen Natur-Wissenschaften einengt.

Es geht dabei nicht nur um Studien, die im Bereich Medizin natürlich in erster Linie natur-wissenschaftlich sein müssen. Es geht vielmehr darum, in den wissenschaftlichen Diskurs eine möglichst breite, interdisziplinäre Expertise ein zu beziehen! Die Autoren der Erklärung weisen explizit auf die Notwendigkeit hin, dass sich Wissenschaft grundsätzlich auch ihrer Erkenntnisgrenzen zu stellen habe. Und sie stellen fest:

„Diese Frage (nach den Grenzen der Erkenntnisfähigkeit) stellt sich insbesondere dann, wenn in komplexen Systemen Strukturen und Kausalitäten gesucht werden und daraus die Effekte von Eingriffen in solche Systeme mit hinreichender Genauigkeit vorhergesagt werden sollen.“

Nun sind wir als Menschen – und generell als lebendige Organismen – ohne Zweifel ziemlich komplexe Systeme: neben dem rein materiellen Körper samt seinen vielfältigsten molekularen Interaktionen sind wir in eine Gesellschaft und Umwelt eingebunden, haben Emotionen und intellektuelle Fähigkeiten, ein Bewusstsein und ein Unterbewusstsein, eine uns durch Geburt gegebene Konstitution, spirituelle Neigungen und im Prozess der Sozialisation entwickelte Strategien der Lebensbewältigung, und wir leben in Freiheit und Eigenverantwortung in einer offenen Gesellschaft.

Diese Vielfalt der Lebensbezüge macht deutlich, wie begrenzt eine Sicht sein muss, die im Zusammenhang mit Gesundheit oder Krankheit ausschließlich biochemische Phänomene in den Fokus nimmt. Ohne Zweifel ist Forschung in diesen Bereichen wichtig und unter Umständen überlebens-notwendig. Aber ein Alleinvertretungsanspruch der reinen Natur-Wissenschaft lässt sich daraus eben so wenig ableiten wie die Annahme, gesundheitsrelevante Erkenntnisse ließen sich ausschließlich auf diesem Erkenntnisweg gewinnen.

Die Autoren weisen ebenfalls daraufhin, dass:

„…wissenschaftliche Erkenntnisse (sind) selten eindeutig und in der Anwendung immer deutungsbedürftig….Sie sind daher auch in der Wissenschaft selbst meist kontrovers.“

Das Debattenklima rund um Homöopathie ist seit längerem aufgeheizt und ist gekennzeichnet durch Diffamierung, Missachtung von Tatsachen und eine um sich greifende Tendenz zur Dogmatisierung – auf der Strecke bleiben die Freiheitsrechte von Patient:innen und Ärzt:innen. Wer anders denkt oder andere Erfahrungen macht als es dem naturwissenschaftlichen Mainstream entspricht ist bestenfalls nicht ganz zurechnungsfähig und schlimmstenfalls ein Wissenschaftsfeind, der aufs schärfste bekämpft werden muss.

Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) fordert die Streichung der Homöopathie aus unserem Gesundheitssystem mit Hinweis auf fehlende Evidenzbasierung im alleinigen Fokus der Naturwissenschaften. Politik hat aber in einer Demokratie die Pflicht, den Weg der Wissenschaftsfreiheit offen zu halten, Pluralität und Ergebnisoffenheit zu fördern und damit das Selbstbestimmungsrecht der Bürgerinnen und Bürger gegen einseitige Angriffe aktiv zu verteidigen! Tut sie dies nicht, untergräbt sie ihren freiheitlichen Anspruch und verrät ihre eigene Legitimationsbasis. Pluralität und Kontroverse behindern nicht Problemlösungen, sondern sind Voraussetzungen für das Gelingen!

Dr. med. Ulf Riker, 1. Vorsitzender des LV-Bayern.

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DZVhÄ-Kongress, 9.-11. Mai 2024 Lindau im Bodensee: